Vom Gold des Bregenzerwaldes

Ein Text von
Barbara Natter

Es geht um
Käse

Veröffentlicht
2023

Ich mag keinen Käse. Bergkäse schon mal gar nicht. Und das als Bregenzerwälderin. Ich weiß von anderen BregenzerwälderInnen, die das sogenannte “Gold des Bregenzerwaldes” weder riechen noch schmecken können. Ich weiß aber auch von abertausenden BregenzerwälderInnen, TouristInnen und anderen, die Alp- und Bergkäse made im Bregenzerwald vergöttern. Dies sei die Geschichte des Milchproduktes mit der weitreichendsten Bedeutung, die mir bekannt ist.

Einst vorherrschend im Bregenzerwald war die Landwirtschaft als Wirtschaftszweig. Mittlerweile haben sich vor allem das Handwerk und der Tourismus hervorgetan. Die wenigsten Bregenzerwälder Bauern leben von der Viehzucht oder dem Käseverkauf: Die Landwirtschaft in der Vorarlberger Region ist eine Landwirtschaft mit kleinen Strukturen und genossenschaftlicher Zusammenarbeit geworden. Durchschnittlich besitzt ein Bauer nur neun Stück Großvieh, acht Hektar Hofweiden und viel Wald. Was geblieben ist, ist der Alp- und Bergkäse. Das sogenannte “Gold des Bregenzerwaldes” ist weit über seine Grenzen bekannt. Und das kam so:


Käse von den Kelten

Mit den Kelten kam die Viehzucht und Alpwirtschaft in den Bregenzerwald – erstmals nur in den Berglagen, da die Täler oft schwer zugänglich oder versumpft waren. Die Römer führten im 15. Jahrhundert vor Christus die ersten Alpkäsereien – heute “Sennalpen” genannt – im 5. Jahrhundert nach Christus lag es an den Alemannen, die vorhandenen Kenntnisse der Milch- und Alpwirtschaft weiterzutragen. Sie rodeten Wälder, um neue Weideflächen anzulegen.


Von den Walsern zu den Appenzellern

Anfang des 14. Jahrhunderts kamen die Walser in den hinteren Bregenzerwald – sie betrieben eine ähnliche Alpwirtschaft wie die Alemannen. Zu dieser Zeit entstanden die ersten individuellen Alphütten. Alpflächen entwickelten sich weiter und große Alpkomplexe wurden in kleinere Areale aufgeteilt, um eine intensivere Nutzung zu erreichen. Ab 1594 handelten die Bauern auf dem bis ins Jetzt populären Schwarzenberger Markt mit Vieh und Käse. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde im Bregenzerwald nur Sauerkäse produziert, das heißt, die Milch wurde bei der Herstellung komplett entrahmt. Dies änderte sich aber mit dem Einzug der Appenzeller “Käsemacher”.

Aber warum kam in die doch recht abgelegene Region ausgerechnet der Käse “zum Zug”?

 

Was so alles für den Käse spricht

Punkt 1: Viele der 23 Dörfer des Bregenzerwaldes zwischen 600 und 1400 Metern Seehöhe als auch die Vorsäße in mittleren Höhen verfügen über besondere Boden- und Klimaverhältnisse: reichhaltige, einheimische alpine Flora. Das ermöglicht eine extensive Bewirtschaftung mit Milchkühen auch in höher gelegenen Gebieten. 

Punkt 2: Dazu kommt die Dreistufenlandwirtschaft, die den Kühen zwischen Mai und Oktober frisches Futter liefert – die Wiesen im Tal das Heu für den Winter.[1]

Punkt 3: Einer der relevantesten Faktoren ist sicherlich das hohe Bewusstsein und das Streben nach Qualität und Tradition – die von der Landwirtschaft geprägt ist – der Bevölkerung. Der immense Stolz der BregenzerwälderInnen, der oftmals in Eigensinnigkeit mündet, sei auch hier angemerkt. (Notiz: Der Umstand der Eigensinnigkeit ist wissenschaftlich nicht fundiert, aber aus persönlicher Erfahrung heraus soll und darf er genannt werden.)

 

Hart im Nehmen -> harter Käse

Nach dem 30ig-jährigen Krieg zeigten aus dem Appenzell stammende Senner den BregenzerwälderInnen die Kunst des Fettsennens – dabei wird die Milch nicht oder nur teilweise entrahmt. Die Appenzeller pachteten Alpen und errichteten Sennereien. Fettkäse ist länger haltbar, was den BewohnerInnen in klimatisch weniger begünstigten Tälern große Vorteile brachte. Mit dem Verbot der Fettsennerei im 18. Jahrhundert und damit einhergehender Aufstände der Einheimischen sowie deren Durchsetzung begann der Aufschwung der Wälder Hartkäserei.

 

Vom Käsemachen

Herausragend ist, dass der Bregenzerwald als die größte zusammenhängende silofreie Region der EU zu bezeichnen ist. Warum? Ob eine Milchkuh frisches Gras oder konserviertes Gras aus dem Silo zu sich nimmt, macht geschmacklich in den Milchprodukten einen enormen Unterschied. Daher bekommen die Kühe, aus deren Milch der Bregenzerwälder Alp- und Bergkäse produziert wird, kein Silo-Gras. Für den Alpkäse ist als Futtergrundlage ausschließlich die Alpwiese gestattet – die unterschiedlichen Gräser und Kräuter der Alpengebiete formieren die geschmacklichen Nuancen der Alpkäse. Alpmilch hat zudem weniger Keime als Talmilch und ist wesentlich haltbarer.

Für die Produktion von Alp- und Bergkäse verwenden die Senner nur naturbelassene Rohmilch: Die am Abend gewonnene Milch wird am folgenden Morgen in einen Sennkessel aus Kupfer gegeben. Dort wird sie mit Milchsäurebakterien-Kulturen und natürlichen Labstoffen versehen – das ändert die Konsistenz der Milch – sie wird fester. Mithilfe von Käsetüchern entnehmen die Senne händisch den Käsebruch. Dieser wird in Formen gepresst und kommt in ein Salzbad. Der letzte Schritt ist dann die Lagerung – damit sich eine Rinde bildet, werden die Käselaibe regelmäßig mit Salzwasser gewaschen. Die Käselaibe sind durchschnittlich 55-60 cm groß und haben 35 kg – kleine Löcher sind ein Qualitätsmerkmal. Gereift wird der Käse zwischen 3 bis sechs Monaten bis hin zu zwei Jahren. 

 

Käseaufstand: Käsebarone vs. Andersdenkende

Das 19. Jahrhundert ist richtungsweisend für den Käse im Bregenzerwald:

Erste Straßen in die abgelegene Region wurden gebaut und damit entwickelte sich der Handel mit der “riechenden Ware”. Via Pferdefuhrwerke gelangte der Alpkäse in die Donaumonarchie, nach Italien und Griechenland – damals noch viereckiger Backsteinkäse, ähnlich dem heutigen Emmentalerkäse. Diese Epoche wird auch als “Käsegrafen”-Zeit betitelt: Der Käsehandel wurde zum Monopol einiger weniger, die Milch aufkauften, verkästen und so den gesamten Export kontrollierten. Hier kommt der allseits bekannte Franz Michael Felder ins Spiel: Die Armut der Bauern bewegte ihn dazu, einen Käsehandlungsverein und eine Viehversicherungsgesellschaft zu gründen, um gegen die Monopolisten vorzugehen. Genossenschaftliche Talsennereien hielten Einzug – weit mehr als hundert Sennereien produzierten in dieser Zeit Käse. 1830 wurde die erste Gemeinschaftssennerei in Au errichtet. Zu dieser Zeit wandelte sich die Produktion von Emmentaler zum Bergkäse – aufgrund der besseren Haltbarkeit von letzterem. #gemeinsamstatteinsam

 

Gemeinsam mit und für den Käse

Im 20. Jahrhundert hielt die professionelle Vermarktung und der strategische Verkauf mehr und mehr Einzug in den Bregenzerwald: Josef Rupp baute die Käsevermarktung Rupp Käse auf – bis heute verarbeitet und vermarktet das Unternehmen den Bregenzerwälder Käse. 1921 wurde die ALMA als Genossenschaft gegründet: als Handelspartner der Tal- und Alpsennereien als auch Lager für das Ausreifen der Käse-Laibe. In den 1970er und 80er-Jahren regelte die Marktordnung den Absatz und Preis des Bregenzerwälder Käses in Österreich, was eine Preisstabilisierung mit sich brachte. 1997 kam es zur Gründung der Sennereigemeinschaft Bregenzerwald mit aktuell 17 beigetretenen Sennereien. 1997 formieren diverse Berufsgruppen im Bregenzerwald – Tourismus, Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe – die KäseStrasse Bregenzerwald. Der Verein mit insgesamt 180 Mitgliedern zielt auf die Förderung der Produktion und Vermarktung regionaler Produkte ab – untereinander und miteinander. Bregenzerwälder Produkte sollen qualitativ optimiert und die Kräfte der Region sinnvoll gebündelt werden. 2003 eröffnete in Lingenau der Käsekeller – ein Reifezentrum für Alp- und Bergkäse, erbaut von Bregenzerwälder Sennereien, Käsevermarktern und dem Verein KäseStrasse Bregenzerwald. Die Bauten dienen der gemeinsamen Lagerung, Reifung und Pflege von 50.000 Käselaiben. Das Projekt mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 6,5 Mio. € ist der bis dato größte gemeinsame Meilenstein in der Geschichte der Bregenzerwälder Milchwirtschaft.

 

Der Käse im Heute

Auch wenn die sogenannten Käsebarone nicht mehr existieren und das geschützte Milchprodukt nicht mehr die Haupteinnahmequelle im Bregenzerwald ist, wird er immer Teil der Region bleiben. Teil der Tradition, Teil der Identität, Teil der Marktwirtschaft – Teil der Kulinarik der TouristInnen als auch der Einheimischen. Mir reicht es, dies zu wissen und zu schätzen – essen muss ich das “Gold des Bregenzerwaldes” ja nicht.

 

Quellen

[1] www.kaesestrasse.at/unsere-gemeinschaft/dreistufenwirtschaft-2/#Dreistufen, Stand: 08.01.2023, 08:00 Uhr

www.kaesestrasse.at/unsere-gemeinschaft/kaesekultur/#Kultur, Stand: 08.01.2023, 08:00 Uhr

www.de.wikipedia.org/wiki/K%C3%A4sestra%C3%9Fe_Bregenzerwald#cite_note-:0-1, Stand: 08.01.2023, 08:00 Uhr

www.info.bml.gv.at/themen/lebensmittel/trad-lebensmittel/kaese/bregenzerw_alpkaese.html, Stand: 08.01.2023, 08:00 Uhr

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