
Ein Text von
Barbara Natter
Es geht um
Architektur
Veröffentlicht
2023
Von der Architektur im Bregenzerwald
Barock-Baumeister, Handwerk, aber auch knapper werdende Ressourcen und Wohnraumverdichtung – das ist die Architektur im Bregenzerwald. Darüber zu schreiben, ist so eine Sache, denn: Großer Stolz und noch mehr Herkunft sowie Geschichte hängen daran. Ich versuche es trotzdem. In aller Demut vor dem Geschaffenen und vor dem Werdenden: Dieser Text spiegelt rein meine subjektive Sicht der Bregenzerwälder Architektur wider.
Aufgewachsen bin ich in einem Architektenhaus: Außen viel Holz, Solaranlage auf dem Dach, Stückholzheizung, viel Platz, Ästhetik und Funktionalität auf einer Ebene. Damals war die Wohnsituation für uns normal: Viele um uns herum hatten große schöne Holzhäuser, die ein mehr als komfortables Leben ermöglichen. Erst später, im Jugendalter, wurde mir bewusst, dass das Wohnen in ästhetisch anspruchsvollem Raum mit genügend Platz für alle Bewohner/innen ein großes Privileg ist. Nun bleibt die Frage: Warum ist dem Bregenzerwälder/der Bregenzerwälderin die Thematik Wohnen eine so wichtige?
Barockbaumeister
Laut Überlieferungen hat die bauliche Kompetenz des Bregenzerwaldes ihren Ursprung im 17. Jahrhundert: Regionale Handwerker wanderten aufgrund fehlender monetärer Mittel nach Süddeutschland, in die Schweiz oder ins heutige Elsass. Dort entstanden große barocke Bauwerke, an denen sie mitarbeiteten. Das dort gesammelte Wissen und die dort entstandene Umsetzungskompetenz brachten sie zurück in ihre Heimat.¹ Der Bregenzerwald war früher schwer zugänglich, da Straßen fehlten – die Region war mehr oder weniger in sich abgeschlossen. Die Ressource, die zur Genüge vorhanden war: Holz. Diese Aspekte führten dazu, dass über die Jahrhunderte eine eigenständige Baukultur entwickelt wurde. Aus dieser heraus entstanden sogenannte “Baukünstler”². Heute noch aus jener Zeit zu betrachten sind beispielsweise die Barockkirchen in Au oder das Kloster in Bezau.
¹ Aus: https://www.derstandard.at/story/3000000174440/aus-fuer-schaffa-schaffa-huesle-baua, Stand: 09.07.2023, 09:00 Uhr
² Aus: https://www.derstandard.at/story/3000000174440/aus-fuer-schaffa-schaffa-huesle-baua, Stand: 09.07.2023, 09:00 Uhr
Das Empfinden von Ästhetik
Aber was ist überhaupt Ästhetik, was ist schön, was empfinden wir als angenehm in der Betrachtung? Ästhetik, aus dem Altgriechischen „Wahrnehmung, Empfinden”, ist die Lehre der Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und Harmonie in Natur und Kunst.
Ästhetik ist alles, was unsere Sinne bewegt, wenn wir es betrachten: Schönes vs. Hässliches, Angenehmes vs. Unangenehmes. Laut Kant ist „Schön ist, was allgemein und ohne Begriff gefällt.”³ Der Ästhetik in der Architektur liegen mathematische und physikalische Regeln zugrunde, ein bestimmter Winkel beispielsweise. Aber „[..] Ästhetischer Wert ist keine angeborene Qualität der Dinge, sondern etwas vom Kopf des Betrachters Verliehens, eine Deutung durch Verstand und Gemüt [..].”⁴ Aus diesen gesammelten Aussagen würde ich deuten, dass Schönheit und Ästhetik nicht eingeordnet werden kann in ein System, es liegt historischen und sozialen Entwicklungen zugrunde. Umgemünzt auf die Architektur im Bregenzerwald könnte das bedeuten, dass das, was wir Bregenzerwälder/innen als schön empfinden, für nicht aus der Region Stammende anders gedeutet wird. Empfinden andere die Bregenzerwälder Architektur nur als schön, weil die Allgemeinheit der Meinung ist, dass es ästhetisch anspruchsvoll ist? Laut der Maslowschen Bedürfnispyramide beschäftigt sich nur der mit Schönheit und Ästhetik, dessen Bedürfnisse von Grundexistenz (Atmung, Wasser, Nahrung), Sicherheit, soziale Beziehungen, Individualität (Vertrauen, Wertschätzung) und Selbstverwirklichung erfüllt sind, kann sich auf die Ästhetik berufen.
³ Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, 1790
⁴ Peter F. Smith: Architektur und Ästhetik, 1979
⁵ https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bed%C3%BCrfnishierarchie#4._Individualbed%C3%BCrfnisse, Stand: 30.07.2023, 06:30
Wohlstand
Aus der Maslowschen Bedürfnispyramide leite ich ab, dass die Bregenzerwälder/innen eine enorme Stabilität im Bezug auf die grundlegenden Bedürfnisse vorweisen können: Nur wer sich (vermeintlich) monetär gut aufgestellt hat, sich in Sicherheit wiegt, soziale Beziehungen aufweisen kann und sich als Individuum ansieht, kann und will sich mit Ästhetik beschäftigen (Anmerkung: Dies ist kein wissenschaftlich fundierter Ansatz, sondern eine These meinerseits.) Interessant wird es dann, wenn man davon spricht, dass eine bauliche Regulierung existiert: Vorgeschrieben sind „[..] klare, einfache Längsbaukörper mit Fassaden aus naturbelassenem Holz, darauf sitzt ein Satteldach. Bauverfahren werden in Gemeinden mit Gestaltungsbeiräten abgestimmt, die aus jeweils anderen Orten kommen [..].”⁶
Architektur und der Bregenzerwald: Eine Symbiose historischer Herkunft. Die Schönheit in Bauwerken hat einen extrem hohen Stellenwert, der – aus meiner Sicht – öfters auch mal hinterfragt werden könnte. Vor allem, wenn man den Versiegelungsgrad von 49 % im Bregenzerwald, höher als im gesamten Österreich, betrachtet. Die Region ist 550 Quadratkilometer groß und damit die größte der elf Talschaften Vorarlbergs. Aber lediglich acht Prozent der Bevölkerung des Landes wohnen hier.⁷
Ich – aufgewachsen in einem großen Architektenhaus im Bregenzerwald, zwischenzeitlich in „normal großen” Stadtwohnungen residiert, um “back to the roots” wieder an einem vor Platz strotzenden Ort zu wohnen – bin auch Teil davon. Nichtsdestotrotz wohnt auch in mir die Suche nach Schönheit und Ästhetik und darauf bin ich irgendwie auch stolz.
⁶ Aus: https://www.derstandard.at/story/3000000174440/aus-fuer-schaffa-schaffa-huesle-baua, Stand: 09.07.2023, 09:00 Uhr
⁷ https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Wohnen-2022_barrierefrei.pdf, Stand: 09.07.2023, 09:00 Uhr
Quellen: