Schaffo, schaffo, Hüsle buo

Ein Text von
Barbara Natter

Es geht um
Arbeitsethos

Veröffentlicht
2023

 

Freitagnachmittag und Samstag gehören Haus, Hof und Garten. Ist unter der Woche abends nach der Erwerbsarbeit die auf jeden Fall ghörig auszuführen ist noch Zeit, könnte man ja auch noch etwas (er-)schaffen. So bin ich im Bregenzerwald aufgewachsen. Die Motivation an der Arbeit ist im kulturellen Bewusstsein des Bregenzerwaldes stark verankert. Warum das so ist, kann ich wissenschaftlich nicht begründen. Aber ich kann meine Sicht der Dinge ehrlich darlegen. 

 

Man sagt den Bregenzerwälder/innen nach, dass sie sehr fleißig seien, ihre Arbeit gewissenhaft ausführen, Schlampereien findet man nirgends, Perfektion ist oberstes Gebot. Tja, so extrem ist es geht es um den Arbeitsethos im Bregenzerwald nun auch wieder nicht. Aber hoch angesehen ist es auf jeden Fall, wenn jemand etwas (er-)schafft: Das bedeutet aber noch lange nicht, dass man ein teures Auto fahren muss Erfolg bleibt lieber hinter den ästhetisch anspruchsvollen und handwerklich hochwertigen Türen verschlossen. Der Arbeitsethos scheint aus meiner Sicht also eine etwas verzwickte Sache zu sein in der Vorarlberger Region: Hart arbeiten ja, Erfolg sichtbar machen nein, nein, nein. Doch wie kommt das?

 

Arbeiten über den Tod hinaus

Als Arbeitsethik wird das moralische Verhalten und die Einstellung des Menschen zur Arbeit bezeichnet sowie die sorgfältige Ausübung und Wertschätzung der Berufstätigkeit . Ich bin unglaublich dankbar, mit dem oben genannten hohen Arbeitsethos aufgewachsen zu sein. Und ich bin stolz darauf, dies und das aus eigener Kraft erschaffen zu haben. Aber manchmal denke ich mir, etwas mehr Leichtigkeit und „ist-mir-wurscht”-igkeit täte nicht nur mir, sondern auch anderen Bregenzerwälder/innen gut. Diese könnten sich – auch wenn der Ansatz doch recht radikal ist ein klein wenig Wurschtigkeit von den alten Griechen abschauen: Denn Antike und Mittelalter verfügten über eine grundlegend anderes Verhältnis zur Arbeit als die Bregenzerwälder/innen es tun. Die alten Griechen verpönten körperliche Arbeit, sie schätzten die geistige Arbeit in Form des Philosophierens. Im Mittelalter wurde Arbeit sogar teilweise als Strafe angesehen, dies wandelte sich etwas im 18. Jahrhundert, in der Arbeit den Mittelpunkt des Lebens darstellt, um den herum die Freizeit gestaltet wird. Der Geistliche Johann Kaspar Lavater ging sogar so weit, dass er annahm, dass die Menschen nach ihrem irdischen Leben auch im Himmel mit Arbeit gesegnet sein würden. Ein hoher Arbeitsethos ist das eine, aber würden sie so weit gehen, auch nach dem Tod auf Arbeit in welcher Form auch immer zu hoffen? 

 

Das sagen Einheimische zum Arbeitsethos

Die oben genannte Frage konnte mir bis dato niemand beantworten. Antworten habe ich aber von einigen Bekannten meinerseits bekommen, die ich fragte: „Was hat es deiner Meinung nach mit dem hohen Arbeitsethos im Bregenzerwald auf sich?” Jede/r sieht es etwas anders. Und das ist auch gut so.

 

Das Alte zu ehren und gleichzeitig für Neues offen zu sein, Bedarf größter Anstrengung. Denn es gilt täglich im Tun abzuwägen, was Gutes erhält und Sinnvolles für die Zukunft schafft. Der Wunsch nach diesem Ideal ist im Bregenzerwald wirklich b’sundrig, entsprechend hoch ist die Moral im gesellschaftlichen Miteinander, ob im Verein oder bei der Arbeit.

Herr P., 40 Jahre alt, gebürtig und wohnhaft im Bregenzerwald

 

Die Bregenzerwälder/innen wurden lange „am Land draußen”“(dt. außerhalb des Bregenzerwaldes, im Rheintal) eher belächelt. Vielleicht wollten sie sich durch das „harte Arbeiten“ Anerkennung holen. Auswärts zeigt man sich immer von der besten Seite, das könnte ein Grund für die hohe Arbeitsmoral sein. Ich kann mir vorstellen, dass ein höheres Verantwortungsgefühl im Job auch mit der Erziehungsstruktur zu tun hat: größere Familien, gute Schulen.

Herr H., 72 Jahre alt, gebürtig und wohnhaft im Bregenzerwald

 

Zum einen kann ich mich gut an meine Kindheit erinnern, meine Eltern haben beide gearbeitet, da selbständig, und das sehr viel. Ich habe auch das Gefühl, dass man doch gespeichert hat, dass man durch viel Arbeit und/oder Erfolg “etwas wert ist”, sich dadurch definiert und beweisen kann bzw. muss.

Frau A., 38 Jahre alt, wohnhaft im Bregenzerwald

 

Schon als Kind haben wir – meine Geschwister und ich – zuhause mit anpacken müssen. Beim Vieh, auf dem Feld, im Garten, im Haushalt. Wir haben in der Familie früh gelernt Verantwortung zu übernehmen, die Arbeit zu sehen und zu erledigen. Man hatte nie viel, hat daraus aber immer – mit viel Hausverstand – das beste gemacht. Das prägt sehr, bis ins Erwachsenenalter.

Frau S., 35 Jahre, wohnhaft im Bregenzerwald

 

Arbeiten wir, um zu leben? Oder leben wir, um zu arbeiten?

Zu guter Letzt sei noch der altbekannte Ausspruch „Schaffo, schaffo, Hüsle buo“ (dt. Arbeiten, um ein Haus zu bauen.) genannt. Ist es tatsächlich so, dass ein „khöriga Wäldar“ (dt. ein/e rechtschaffene/r Bregenzerwälder/in) ein eigenes Haus bauen muss, damit er von sich aus sagen kann, er habe etwas er- und geschaffen? Gebaut wird im Bregenzerwald tatsächlich (immer noch) viel. Aktuell sind, über alle Gemeinden gesehen, 765 Bauvorhaben veranschlagt. Eine weitere interessante Zahl, die in diesen Fakt reinspielt, ist die Tatsache, dass 57 % aller VorarlbergerInnen in Eigentum wohnen. Demgegenüber stehen die Immobilienpreise, die von 2021 auf 2022 in Vorarlberg um +13,5% gestiegen sind. 

Ich darf Markus Innauer, Bregenzerwälder Architekt, zitieren: „Das Einfamilienhaus als Bautyp ist tot“. Wer sich ein – klarerweise architektonisch anspruchsvolles –  Einfamilienhaus im Bregenzerwald bauen will, muss mit über einer Million € rechnen, Grundstückspreis inklusive. Eine Summe, die wohl die wenigsten zukünftig aufbringen können oder wollen. 

 

Dinge (er-)schaffen. Leben, um zu arbeiten. Arbeiten, um zu leben. Mercedes. Glück im Tun erlangen. Gemeinsam. Miteinander. Arbeitshände. Geistige Anstrengung. Schaffo. Pause machen verdient oder unverdient. SINN FINDEN. ERFÜLLT SEIN.

Ja, viele Bregenzerwälder/innen haben einen hohen Arbeitsethos. Jede/r lebt das auf seine Weise. Grundsätzlich eine gute Sache, finde ich. Dennoch könnte manchmal etwas mehr „Wurschtigkeit” Einzug halten, denke ich. #vivalawurschtigkeit #schaffoschaffoleabo 

 

Quellen: 

https://www.derstandard.at/story/3000000174440/aus-fuer-schaffa-schaffa-huesle-baua, Stand: 09.07.2023, 09:00 Uhr

https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Wohnen-2022_barrierefrei.pdf, Stand: 09.07.2023, 09:00 Uhr

https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsethik, Stand: 09.07.2023, 10:15 Uhr

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